Prolog
4.6.
Wieder so eine Nacht, wieder so ein Morgen. Ein Atemaussetzer, ein Röcheln, ein Keuchen und schon stehe ich auf beiden Beinen und ringe um Luft. Die Sternelein tanzen und ich halte mich am Kleiderschrank fest. Momente später, erwacht sitze ich auf meinem Balkon. Die Stadt schläft tief und fest. Viel Zeit bleibt mir nicht, bis mich wieder die Erschöpfung, der geschwollene Hals, die Atemnot und vor allem diese tiefe Müdigkeit zurück in die Waagerechte zwingt. Zeit genug, im Draußen zu sitzen, Kaffee zu trinken und zu rauchen.
„Ich habe geweint, als ich die Klaus-Story las“ - das war die Überschrift zur Beschreibung meiner Person in der Abizeitschrift. Irgendwann mal, in einem anderen Leben. „Ist ständig krank, obwohl er nur 40 Tassen Kaffee trinkt, zudem 40 Zigaretten raucht und 3 Stunden schläft“.
Ich liebe Erinnerungsfetzen. Es ist Juni und recht frisch hier am Morgen, auf dem Balkon, in dieser Stadt, in diesem Land.
In der Nacht träumte ich von einer schönen Frau, an meiner Seite. Ich war glücklich und zufrieden, auf dem Weg zu einem Ball oder Feier. Sie, in einem eleganten langen Abendkleid, dunkles Haar und ein herzliches helles Lächeln. Ich, im legeren Anzug, frei von aller Last, so liefen wir die Stufen hoch, hinein in die Abendgesellschaft.
Der Kaffee wird schon wieder kalt. Bei meinem letzten wirklichen Date musste mich die Hübsche stützen, damit ich überhaupt wieder nachhause kam. Ich hätte nicht die halbe Stunde sitzen sollen, im Restaurant, mit diesem Rücken. Danach lag ich auf meiner Couch, schweißgebadet. Sie hielt sanft meine Hand und ich wusste in diesem Moment, dass ich den Rest meines Lebens alleine verbringen wollte.
Reue? Bedauern? Der Fluss fließt weiter. Ob ich nun schwimme oder nicht.
24.7.
Und wie soll ich denn noch jemals das niederschreiben, was ich zu sagen habe? Es ist einfach zu spät, akzeptiere es halt. Bleib doch einfach liegen, ergib dich dem Schwindel und lass dich einfach treiben, ob es dich nun ins Leben zurück oder ins blanke Nichts spült. Nett. Die unteren Rückenwirbel sagen mir „Aber Hallo“. Und nicht nur die rechte Hand, jetzt auch noch die linke und beide Fußknöchel stechen – die Sehnen – wieso stechen meine Sehnen? Der Kopf ist schon seit heute Morgen komplett dicht und das einzige, was die Medikamente bewirken, sind Erschöpfung und Schleim. Ich bin so was von am Arsch. Mein Körper zerlegt sich. Jeder Atemzug brennt im Herzen. Nur Verspannungen, im Brustwirbelbereich, sagt mir mein Resthirn, das selbst in einer Suppe aus Rotz und Verzweiflung schwimmt.
Ich stehe auf. Bettdecke weg und raus. Der Kopf pocht und Wirbel für Wirbel stelle ich mich auf die Füße. „Dass Sie das immer noch so mit Humor nehmen!“, wunderte sich meine Ärztin vor ein paar Tagen, als ich erneut das letzte Mittel unserer hochgelobten modernen Medizin – ein neues Antibiotika – verabreicht bekam. Natürlich erzähle ich nur die halbe Hälfte von dem, was mich zerbröselt. Meine Erfahrung der letzten 5 Jahre zeigte mir, dass es die Doktors schlicht überfordert, wenn ich alles aufzähle. Und eigentlich ist es auf diesem Niveau eh egal – am Ende steht auf dem Zettelchen – noch mehr Kortison, noch bessere Antibiotika. In den mails steht das Angebot für Fuerteventura. 5.11.-5.1. 6500.-. Den Bienenstock in Jandia empfiehlt mir die gute Frau vom Reisebüro. Und immer die ungläubig neidischen Blicke – ach, soviel Urlaub hätte ich auch mal gerne. Oh Frau, grummelt es in mir – das hat nichts, aber gar nichts mehr mit Urlaub zu tun. Ich kann hier einfach nicht mehr überleben. So schwachsinnig sich das auch anhören mag: Diese Luft hier bringt mich um. Allergene oder Feinstaub, Giftstoffe oder Stress. Völlig egal. Es ist nach fünf Jahren Kranksein komplett aus den Fugen, das, was man so Leben nennt. Und nur die Auszeiten auf den Kanaren in den letzten Jahren vermochten meine Batterien wieder ein kleinwenig aufzuladen. Zumindest soviel, dass ich wieder ein wenig funktionieren konnte, bis zum nächsten knock out. Doch dieses Mal bin ich mir nicht einmal sicher, ob es nicht schon längst zu spät ist.
In einem Post bezeichnete ich Lanzarote als meine zweite Heimat. Das stimmt so nicht. Es ist das letzte Loch, in das mich verkrieche, meine Drecksinsel, eine Grotte, eine Höhle, in der ich hoffe, bete, noch einmal einen Fünkchen Leben entfachen können.
2018 hieß es -burnout – nach drei Lungenentzündungen und Monate der Antibiotika, die lustiger Weise nun vom Markt sind, weil sie u.a. Asthma auslösen können. Ich liebe diese Ironie des Lebens. Schlaf gab es monatelang nur 1-2 Stunden, der Rest war Kampf und permanente Panikattacken endgültig zu ersticken. Das war kein gutes Jahr. Und es war der Moment, als mein Immunsystem endgültig umkippte, wie ein heimischer Waldsee, der etwas zu viel Grünzeug intus hatte. Etwas hatte über 50 Jahre in mir geschlummert. Nun war es wieder da. Im Kinderwagen schrie ich halbjährig schon meine Wut über das Sein hinaus, nach Luft und Leben schnappend, erstickend an dem, was Ihr Natur nennt. Dann Gehirnhautentzündung, dann tagsüber der Eiter, der aus den Augen lief und nachts knallte ich meinen Kopf rhythmisch gegen die Wand und schlug mich so in den Schlaf. Dann die Ärzteschaft. Damals die nach billigen Cognac riechenden alten Männer, die ersten Kortisonspritzen, die ersten anaphylaktischen Schocks, das Mitleid, das Achselzucken. Es gibt keine Hilfe, keine Rettung. Fünfzig Jahre lang und länger gut verdrängt spielte ich meine mimikry. Und ich war wirklich gut in diesem Spiel. Dummerweise wurden nun die Wolken zerrissen und von unendlich weit Oben, aus dem strahlend hellen Blau zeigt für Alle sichtbar Gottes Finger auf mich und meinen entblößten Arsch.
Jandia will ich nicht. Langer, ewig langer Strand, tröstendes Meer, ja, aber das Zivilisierte, das Urbane dort irgendwie schal und seelenlos. Wenn Fuerte, dann vielleicht Costa Calma, die Hochburg der deutschen Rentner. Und im Anschluss wahrscheinlich wieder einmal das schrabbelige Aparthotel am Rande von Puerto del Carmen auf Lanzarote. Eine heftig belebte Ecke, städtisch, international lärmend, aber nach zwanzig Minuten Busfahrt bist Du im Draußen – Puerto Calero, der Yachthafen und das entsprechende Ambiente und wieder 30 Minuten später noch weiter Draußen, nur noch ein zwei Gesichter. Ein oder zwei holas und dann Playa Quemada, mit dem wirklich guten Fischrestaurant, das ich mir eigentlich nicht leisten kann. Und nochmals 30 Minuten später allein. Endlich wirklich allein. Klippen, Wüste, Meer, Sonne, Licht, Luft und all die bösen Geister, die ich mit hierher auf die Insel gebracht habe..
12.8.
Das wirklich Wahnsinnige ist die Menge Schleim, die ich schlucken muss. Gut zwei Mal pro Minute, Stunde um Stunde. Da kommt was zusammen. Danke Schön. Dann entzündet sich irgend wann mal Alles. Der Rachen, der Hals, der Magen. Die geschwollenen Lymphknoten pochen irre, der Kopf dröhnt und man ist kaum in der Lage geradeaus zu sehen. Inzwischen arbeite ich nur noch zwei, drei Stunden am Tag. Helfe unten im Laden aus, so wie ich eben kann. Gehe unseren Mitarbeiterinnen wahrscheinlich mehr auf den Keks, als wirkliche Hilfe zu sein. Kundenverbot. Bedienverbot. Sich bloß nicht mit noch mehr Schrott anstecken. Spiele jetzt Büromaus, ich, der große Kinderschuhhändler, der Spezialist, der eine Fachmann, der so ganz nebenbei, neben all seinem Wissen Allesamt zum Lachen bringen kann. Gestern Nacht war es dann wieder soweit. Ich wollte nicht mehr ins Bett. Stand da wie verwurzelt. Angst. Furcht vor den unweigerlich kommenden Panikattacken, nun endgültig am eigenen Scheiß zu ersticken. Super. Jetzt auch noch der Psychoscheiss. CBD-Tröpfchen helfen anfangs, um mich wieder ein wenig zu beruhigen, zu erden. Alles nicht so schlimm. Aber bis November? Keine Ahnung, wie ich das bis dahin aushalten soll.
28.8.
Muttern hat heute Geburtstag und natürlich kann ich nicht runter in den Süden, bei all den lustigen Keimen, Bakterien und Viren, die mich als ihren Tummelplatz ausgesucht haben. Nette Bilder von der Familie, am Tisch, beim Essen. Musste mir von Muttern und Schwester Geld leihen, um überhaupt die kommende Auszeit zu finanzieren. Beschämender, peinlicher geht es fast nicht. Ich schlucke das bisschen Stolz, das ich noch habe mit dem nächsten Schub Schleim runter. Hilft alles nichts. Nach fünf Jahren kann der Laden mich und meine Ausfälle nicht länger finanzieren.
Und natürlich ist es alternativlos. Alleine meine histaminarme, glutenfreie Diätzeit, nach den ganzen privat zu bezahlenden Untersuchungen haben am Ende diesen Jahres ein paar Tausend Euro verschlungen, während ich mich nur nach Schokolade und einem Bissen Brot sehnte. Und irgendwann nach Monaten reicht ein Bissen Kuchen und man bläht sich auf, wie ein knallroter Luftballon. Ja toll – und das für den Rest meiner Tage? Haferschleim und lauwarmes Wasser? Natürlich habe ich auch das abgebrochen und unter Erfahrung verbucht. Das kann nicht der Weg sein.
In die gesetzliche Kasse habe ich seit meiner Selbstständigkeit rund 100.000.- Euro einbezahlt und bekomme neben Antibiotika und Kortison den gutgemeinten Rat: Wenn es dir dort besser geht, dann ziehe doch auf die Kanaren. Danke. Und wer bezahlt das jetzt?
17.9.
Es ist wieder soweit. Die Atemnot ist nun auch tagsüber. Die zehn Meter zum Einkaufen sind inzwischen abenteuerlich und ich brauche eine gute halbe Stunde, um mich wieder zu erholen. Phase drei ist angebrochen, so bezeichne ich das nach den letzten Jahren Erfahrung. Nahezu Punkt Mitternacht schwillt mein Bauch dermaßen an, dass ich den Rest der Nacht wie eine Hochschwangere durch meine finstere Wohnung tapse. Völlig irre, irre Gedanken, irre Wahrnehmungen. Und das stete Gefühl eines Getriebenen, eines Flüchtigen. Keine Ruhe mehr. Außen und Innen. Jedes Geräusch macht mich völlig kirre. Jeder Augenblick der Stille treibt mich voran. Aufstehen, sitzen, liegen, aufstehen, wieder im Kreise gehen. Schlafentzug. Ich bin, wenn es gut läuft bei 1,5h morgens und 1,5-2h nachmittags angelangt. Die Auswirkungen: der schlichte Wahnsinn. Ich kann mich auf Nichts mehr konzentrieren, auf keinen Artikel, keine mail, keinen Gedanken. Arbeit nahezu eingestellt. Mit Menschen auch nur für Minuten in einem Raum eingesperrt zu sein, lässt mich ausrasten. Ich bin nun ein Gespenst. Geistergleich bleich, ruhelos und im nächsten Moment zornig außer sich. Dann lache ich wieder irre, weil ich bemerke, dass ich wieder in einen weiteren Sekundenschlaf gefallen bin.
20.10.
Suizid? Natürlich würde ich heute Morgen das nicht schreiben können, wenn ich die eine Pille in der Schublade hätte. Was ist die Alternative? Das Nichts? Der Frieden, der keiner ist, weil es mich dann auch nicht mehr gibt? Nein, ich weiß, in ein paar Wochen sitze ich im Flieger und versuche erst mal soweit zu gesunden, dass ich wenigstens wieder in Bewegung einerseits und in eine Art Seelenschlaf andererseits komme. Das ist der Plan.
Letzte Woche physischer Zusammenbruch. Kam vom Einkauf nicht mehr zurück. Saß auf einem Mäuerchen, schweißgebadet versagte ganz einfach die innere Kraft. Ich nenne das Zuckerschock, kenne das seit Jahren. Aber nicht in dieser Dimension. Ganz tief Unten in mir, hinter tausend heißglühenden Wänden schlägt leise mein Herz. Aber es schlägt. Doro fährt mich nach Hause und ich verspreche ihr, dass ich nachschauen lasse, was ich natürlich nicht machen werde. Warum denn noch?
11.11.
Morgen ist Abflug. Um 6 Uhr kommt das Taxi, bringt mich zum Flughafen und nachmittags bin ich in einem Allinclusive Hotel auf Fuerte. Bis Januar. Dann schippere ich rüber nach Lanzarote.
Und dann sollte ich mich neu erfinden. Aufbauend auf Fehlern, Schwächen und Stärken, mit Vernunft. Wer's glaubt, wird selig. Amen.
Sich neu zu erfinden, tja, das bedarf eines Fundaments, eines Grundsteins. Egal wie alt geworden man sich glaubt. Und wenn mir dieser Stein der Weisen nicht in den nächsten Wochen unvermutet auf den Kopf fällt, gilt es die Schaufel in die Hand zu nehmen und nach ihm zu graben. Aber das Alles ist Schnee von Morgen. Restenergie sammeln, nicht denken, einfach mit der Masse sich auf die Insel bringen lassen. Taxi, Flugzeug, Taxi, Rezeption, Apartment, Koffer in die Ecke und dann endlich loslassen können.Komme da, was wolle.
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