Keine Macht den Pollen - ein Schreibheilverfahren (3)

 

99 Nächte

 

Katharsis oder weiterhin Karies?

 

Das wird jetzt nicht unbedingt eine literarische Meisterleistung, wenn ich meine Krankheitsgeschichte zu erzählen versuche. Aber wenn ich mein Dasein beschreibe und es tatsächlich merklich zu ändern beabsichtige, ist es eben meiner Meinung nach wichtig, die Wurzeln allen Ungemachs genauer zu betrachten.

 

Behavioristen und Verhaltenstherapeuten werden an dieser Stelle Galle spucken und mir raten: Hör halt einfach mit dem Rauchen auf. Sei einfach willensstark. Schritt für Schritt! Du wirst sehen, es wird besser.

Dass ich diesen Kleingeistern imaginär nicht nur einmal voller Jähzorn die Kehle durchgebissen habe, soll an dieser Stelle erst mal genügen. Auf ein weiteres Mal lege ich keinen Wert. Viel zu dünn ist nach monatlichem Schlafentzug die Grenze zwischen Wirklichkeit und Imagination.

 

Apropos Schlaf: Ich schlief heute nahezu 9 h! Das können sich natürlich die aller meisten Menschen gar nicht vorstellen, was das für mich bedeutet. Der Schnitt der letzten Monate war normaler Weise 2x 2,5h, wenn ich Glück hatte. 1,5h-2 h am Tag, wenn nicht. Hier und Jetzt ist die Macht des Schleims aufgebrochen, Nebenhöhlen werden frei, selbst der Rachen und die Kehle sind inzwischen nahezu entzündungsfrei. Und das, wieder nach nur fünf Tagen auf den Kanaren. Ich kann atmen, tief durchatmen. Und ich bewege mich wieder, gut, ordentlich verkrampft, mit allerlei Wehwehchen, kaputte Füße, Übergewicht und desolate Bandscheiben. Scheibenkleister, Meter für Meter, entweder am Strand oder an der Küste entlang, selig entrückt lächelnd. Natürlich schwitze ich und trinke wieder mehr Wasser und der ganze Organismus kommt so peu a peu ins Laufen. Nach 9 Monaten des Dahinsiechens glitzert und flunkert so ein kleiner Funken „Hoffnung“. Gut, meinem Herz/Kreislauf traue ich noch nicht so recht. Hatte ich doch noch kurz vor der Abreise zwei „Zusammenbrüche“, nach denen erst mal gar nichts mehr ging, außer Bettruhe und langsames Aufbauen. Und die wohl notwendige, erneute Herzuntersuchung habe ich zur Seite geschoben. Ich wollte es einfach nicht mehr wissen, ob die vergangenen Monate mit überstrapaziertem Immunsystem und permanenten Infekten letztendlich doch mein Herz auch physisch belastet hatten. Was hätte ich denn mit dieser Information in Deutschland noch machen können? Gesunden? Unsinn. Augen zu und Flucht.

 

So bin ich also ein Flüchtling, eine Art „Klimaflüchtling“, nur andersrum. Und das ist natürlich meinem Umfeld nur schwer vermittelbar. Und deswegen veröffentliche ich auch den Großteil meines „Geschicks“, um dadurch vielleicht an Menschen und neuen Ideen zu gelangen, wie und wo ich meine noch offene Zukunft gestalten kann. Ja, es ist ein Einzelschicksal, meine kleine Kacke, aber ich ahne menetekelhaft eine noch nicht beachtete „Erkrankungswelle“, die auf unsere Gesellschaft zugerast kommt. Stichwort Allergien, Atemwegserkrankungen und dem allseits beliebten „Feinstaub“.

 Schließlich war ich schon in den frühen 70gern in Sachen Allergien eine Art „Trendsetter“.

 So gehörte ich damals zu den noch nicht untersuchten Extremfällen, was „Heuschupfen“ bedeuten kann. Morgens mit Eiter zugeklebte Augen, Nesselfieber nach Minuten im Gras, die Nächte aufrecht sitzend und nach Luft jappsend. Aufgekratzt, angestochen und jähzornig ohne Ende. Und da war ich noch keine Fünf. Ich bekam Mitte der 70ger regelmäßig das „neue Wundermittel Kortison“ wöchentlich gespritzt, lief als einer der ersten mit einer Nadel im Kopf durch die Stadt, nach der Eigenblutwäsche, hatte bei einer Falschdosierung einer der ersten Desensibilisierung in Deutschland meinen ersten anaphylaktischen Schocks und durfte mit Lalülala ins Kreiskrankenhaus. Heuschnupfen halt. Eine meiner ersten, tiefsten Erinnerungen ist die, wie ich in meinem alten Kinderzimmer stand, aus dem Fenster auf unsere Birke starrte und versuchte, mich selbst zu erwürgen. Heuschnupfen halt. Ohnmacht und Kontrolle.

 

Hinzu kam noch der Psychodefekt oder effekt – Hospitalismus.Mit zwei Jahren wurde ich mit Verdacht auf Meningitis ins Krankenhaus gebracht und für Wochen komplett isoliert. Der Nachbarsjunge war daran gestorben. Ich und andere Kinder kamen wohl noch rechtzeitig in Behandlung.Aus der Isolierung zurück fing ich jedoch mit den „Wargeln“ an. Ich liebe meine schwäbische Ursprache: also, mit dem Wargeln an. Im Verlaufe dieses Wargelns schleuderte ich mich im Bett so lange von Seite zur Seite bis ich einschlafen konnte. Hinzu kam dann das „Bockeln“. Seid tapfer, liebe Restleserschaft. Beim Bockeln haute ich mir dabei den Schädel gegen die Wand oder Bettkante, bis ich endlich halb bewusstlos, halb ohnmächtig einschlafen konnte.

 

Meine armen Eltern wussten natürlich gar nicht mehr weiter: Entweder war das Kind am Ersticken oder es redete die ganze Nacht und knallte mit dem Kopf gegen die Wand. Günzburg Ost – die Irrenanstalt, so hieß das noch in den 70gern. Da hat man in der Hitlerzeit den Onkel Egbert hinbracht... Glück für mich, dass ich dreißig Jahre später geboren wurde. Die Psychiater damals waren schlicht, was man heute als Neurologen bezeichnen mag. Also Mediziner, deren Denkstrukturen stets im dualen Keuschheitsdenkgürtel eingeschlossen blieben. Ich habe mich Jahre später nicht ohne Grund an der Uni rege mit den Reichianern, Jung und den „Kritischen Psychologen“ beschäftigt.Nach Freud, logischer Weise. Mein erster und den Götter sei Dank auch letzter Kontakt mit der Psychiatrie waren also fröhlich bunte Kabel und flimmernde Elektronen. Schließlich konnte man Hirnströme messen. Und alles, was messbar war, war gut. Und meine Hirnströme waren gut. Also war alles gut. Ich wurde nachhause geschickt und wargelte und bockelte bis zu meinem 18ten Lebensjahr, zum großen Teil natürlich, heimlich weiter.

 

Das Asthma dagegen wurde besser und besser, als ich mit 14 Jahren mit dem Rauchen begonnen hatte, bis es nahezu für Jahrzente verschwunden war.

(„Regieanweisung: Franz Moor – wider einer Eiche rennend“)

 

In den vergangenen 45 Jahren bekam ich bei der Erwähnung dieser Entwicklung zumeist zwei Erklärungsansätze geliefert. Der eine behauptet, dass meine Lunge fortan mit so viel Gift zu tun hatte, dass die Allergien erst gar nicht von ihr weiter bearbeitet werden konnten. Ich hatte zwar nur Bio-LK, aber so richtig einleuchtend erschien mir dieser Ansatz nie wirklich. Der andere, wen wundert's psychologisiert: Durch die vermeintliche Umkehr meiner kindlichen Ohnmacht in eine vermeintliche Struktur der Kontrolle, entstresste ich mich selbst, was zur Minderung des Asthmas führte.

Selbstredend bekam ich in diesen 45 Jahren von 10 Ärzten nur 9 ratlose Blicke beflissentlich auf die eigenen, sauberen Fingernägel, als Antwort.

So rauchte ich weiter. Immer noch besser als Asthma.

 

Und dennoch vollführte ich zwei redliche Versuche mit dieser Art des Selbstmordes aufzuhören. Schließlich wollte ich nicht gänzlich zu den ganz Doofen gehören. Der letzte Versuch liegt nunmehr schon beinahe zwanzig Jahre zurück. 6 Wochen rauchfrei und von einer Nikotinabhängigkeit im physischen Sinne konnte also nicht länger die Rede sein. Dann kam die Neurodermitis. Ich weiß, Alternativmediziner betrachten so etwas gerne als eine Art der Selbstentgiftung. In dieser Zeit begegneten mir solche Menschen den Göttern sei gedankt, nicht. Auch deren Kehlen wären vor meinem Jähzorn nicht sicher gewesen. Schreianfälle unter der Dusche, Faustschläge gegen Türen und Wände, Heulkrämpfe und Wutanfälle im Minutentakt. Und dann kam es wieder, das Asthma. Mit all seiner verdrängten Kindheitsmacht. Das kindliche Wissen, dir kann nicht geholfen werden. Weder Vater, Mutter, oder Weißkittel. Dir wird nicht geholfen. Du bist allein mit deinem Ringen um Atem, um diesen feinen, dünnen Faden Leben.

 

 

 

Als Kind war ich der Allerallerschnellste auf dem Fußballplatz. Und ich weiß noch genau das siegreiche 1:0 gegen Hohenmemmingen, das ich schoss. Der Ball links nach Vorne, ich war wie immer schneller als der Rest der Meute, rannte über den halben Platz und lupfte den Ball über den Torhüter ins rechte Eck. Oder die vier Tore gegen Schnaitheim, nachdem ich sogar 5DM geschenkt bekam. Ich war Held. Dass ich nach den Schilderungen meines Vater eigentlich ein nach Luft schnappender Hungerleider auf dem Fußballfeld zumeist am Rande des Feldes stand und nach Atem rang, sodass sich alle Erwachsenen Sorgen machten – was ist denn mit deinem Bub? Und ich pro Spiel rund ein Dutzend große Stofftaschentücher verbrauchte und quer über den Platz verteilte, weil sie mir aus der Turnhose fielen, das habe ich halt schlicht „verdrängt“.

 

Das ist ja auch das Wunderbare am Kindsein. Diese unumschränkte Macht des Verdrängens und Vergessens hin zum Guten. Gut, wir wissen, Abspaltungen, Psychokonkons können wiederkommen, können aber dann auch mit einer Erwachsenenkraft bearbeitet werden. So die Theorie.

 

Es war Februar, winterlich und ich rauchte 6 Wochen nicht mehr. Dafür kratze ich mir die Seele vom Leib und schnauzte jeden Menschen an, der nicht rechtzeitig den Raum verlassen konnte. Und ich bekam keine Luft mehr, tagsüber, im Winter. Was mit mir geschehen würde, wenn der Schnee schmolz und die Frühblütler zu blühen beginnen, war klar. Kollaps.

„Gegen was sind Sie denn allergisch?“, kam dann die Frage, nach dem obligatorischen Lungenfunktionstest und der Diagnose Missbrauch von Tabak und Nikotin.

„Gegen das Leben!“, war dann stets meine Antwort. Von 10 untersuchten Stoffen reagierte mein Körper bei allen mit Quaddeln. All die Jahre. Immer. Schon immer. Aber vierzig Jahre später ritzen diese Superallergologen noch immer meine Arme oder den Rücken, um dann erstaunt festzustellen: Stimmt. Alles reagiert, aber Roggen besonders. Das nächste Mal wäre es der Hausstaub, Spinat oder was auch immer. Aber irgendwas müssen die Weisskittel in ihren Rapport ja notieren.

 

Das klingt jetzt alles recht despektierlich gegenüber der Ärzteschaft, ich weiß. Sie tun ja auch nur ihr Bestes, was einem Kassenpatienten als Bestes angetan werden kann.

Aber selbst dieses Jahr, also nach 57 Jahren Allergien ist der Ablauf derselbe. Aufnahmen der Lunge, Funktionstest, Ritzen. Ist das bei Denen eigentlich manisch und kann man das nicht behandeln? Nun, heute sage ich inzwischen Stop. Ein Lungenarzt hat nicht die Kompetenz meine Allergien zu untersuchen. Ganz einfach. Ohne eine Darmflora-historie ist das doch alles für die Katz, bzw. einfach mein Geld nicht länger wert. Um als Kinderschuh-Händler zu argumentieren: Wir stellen heute ja auch nicht mehr die Kinder auf Röntgengeräte, um die Größe der Füße zu messen! Oder?

Sei's drum. Kortison war natürlich auch damals bei meinem Nikotinentzug die medizinische Therapieform.

 

Und ich strich die Segel nach ein paar Döschen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich zwei geliebte Menschen an dieses Scheissmedikament verloren, und wusste schon damals, was eine regelmäßige Kortisondosierung mit Körpern machen kann.

So stand ich auf meinem Balkon, drehte mir eine Zigarette, zündete sie an zog und inhalierte und mir wurde schwindelig gewahr: „Jetzt bist'e wirklich am Arsch!“

Was für ein ekeliger beißender Geschmack im Mund. Jeder Raucher weiß das. Auch, dass nach der zehnten Zigarette unser Hirn sich so belohnt sieht, dass wir den Qualm, dieses perfide Gift ab sofort wieder als „Genuss“ bezeichnen.

 

Meinen Tagebüchern gemäß, in den es seit Jahrzehnten immer um dieselben ewig langweiligen Themen dreht, Disziplin, Pläne und Scheitern, Versagen und Neubeginn, etc., den Büchern nach ging es mit mir nach 2018 mit 3 Lungenentzündungen und einer langen Antibiotikabehandlung, mit einem Mittelchen, das seit 2019 vom Markt genommen wurde, u.a. weil es Asthma auslösen konnte, echt tolle Leistung, Herr Doktor, körperlich kontinuierlich steil bergab.

 

Und es manifestierte sich ein Krankheitsbild, das wohl nicht nur bei mir zur Ratlosigkeit führte. Nehmen wir dieses Jahr 2023: Ich komme einigermaßen erholt im Februar von den Kanaren zurück in meine mittelgroße Stadt zurück und es brauchte keine 3 Tage und die Macht des Schleims beginnt. Dieses Jahr ein wenig nach Hinten verzögert, wohl weil ich mich gut ein halbes Jahr glutenfrei und histaminarm ernährt hatte. Hab wieder mal ein paar Tausender in die Alternativmedizin gesteckt, mit amerikanischen Labors, Nahrungszusatzgeschichten, Mitochondrienaufbau, etc. Seis drum. Selbstverständlich habe ich in meiner Vergangenheit schon Vieles getestet, bis hin zum Formen germanischer Runen. Gebracht, außer illustre Anekdoten, hat mir das alles leider nichts. Hab noch ne ganze Schublade voll mit dutzenden Fläschchen, Kügelchen und allerlei bunten Pillchen. Aber sie lässt sich ja noch öffnen.

 

Die Macht des Schleims beginnt bei dichten Nebenhöhlen, das paarmal Niesen bis die Augäpfel platzen, schwamm drüber. Ihr wisst ja inzwischen aus was für eine Geschichte ich komme. Und sobald ich mich hinlege, beginnt der Spaß und ich schlucke Schleim. Ein, zwei Mal pro Minute über Stunden. Da kommt was zusammen. Und an Schlaf ist dabei nicht zu denken. Die ersten Antihistamine kommen zum Kortisonspray dazu.

 

Dann nach Wochen kommt Phase 2. Rachen, Zunge, Gaumen, entzünden sich. Inzwischen ist Schlucken schwierig. Ich bin inzwischen so übermüdet, dass ich in den Schlaf regelrecht falle und nach wenigen Minuten halberstickend aufwache, trinke, schlucke, trinke schlucke und wieder zurück in den Halbschlaf falle, bis ich resignierend aufstehe. Dazu schwellen meine Lymphknoten an, verdicken sich bis zum Hals und bringen mich bei jeder Berührung zum unmittelbaren Würgen. Nach wie vor, für alle Heuschnupfenfans, ab morgens um halbsechs wird es ein bißchen besser und ich habe wenigstens hier noch zwei/drei Stunden Schlaf. Inzwischen bin ich auch tagsüber nicht nur durch Schlafmangel gaga, eine Kurzatmigkeit ist nun allgegenwärtig. Und jeder Einkauf, 300 m weiter strengt mich schon an.

 

Dann-wir haben inzwischen Juni/Juli kommt Phase drei. Der Machtbereich des Schleims hat sich nach Unten ausgedehnt und jetzt spielt der Magen verrückt. Egal, was ich esse und glaubt mir, wirklich egal wie ich meine Nahrung reduziere, zwischen 23 Uhr und Mitternacht werde ich „schwanger“. Mein Bauch bläht sich um gut ein Drittel auf und drückt mir so aufs Zwerchfell, dass ich fast nicht mehr liegen kann, stattdessen stundenlang, mir den Bauch streichelnd durch meine nächtliche Wohnung laufe. Inzwischen ist die Tagesdosis bei Antihistaminen verdreifacht, die Kortisonmenge verdoppelt. Der Schlafmangel hat mich dabei zum Tageszombie werden lassen. Und wenn es einigermaßen gut geht habe ich 2x 2-3h am Tag, in den ich arbeiten oder was Vernünftiges tun kann. Der Rest der 24h sind in einem Wort ausgedrückt: tote Zeit und Siechtum.

 

Dieser Zustand geht dann solange, bis ich die Reißleine ziehe und auf die recht cleanen Kanaren flüchte. Denn, was ich natürlich so nebenbei tagtäglich aufschnappe, sind sämtliche Erkältungs und Magen/Darmkrankheiten der gesamten Stadt, die sich in Form lustiglauter Kinderscharen, bei mir unten im Laden tummeln und gegen die mein Immunsystem schlicht Null Chancen hat. Und sobald ich meine Fluchtbewegungen nach Hinten gen Winter oder wie früher sogar in den Januar verschiebe, kommen unweigerlich Bronchitis und Lungenentzündungen dazu. Und dieses beschissene Spiel spiele ich nun seit bald fünf Jahren, und irgendwie beschleicht mich da so ein Gefühl, dass ich es eher früher als später verlieren werde.

 

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