"Al Bundy für Akademiker" (6)

 

 

 

 

 

Niemand wird als Schuhverkäufer geboren. Man wird zum Schuhverkäufer gemacht! Soweit die Theorie. Als ich dahamals in wenigen Minuten meinen ersten Schuh verkauft hatte, bedankte sich der Kunde innigst und lobte meine Fachkompetenz. Es war mein erster Arbeitstag und ich hatte ein paar Stunden Einführung, wie ein Schuh aufgebaut, was bei der Passform zu beachten war, aber im Grunde genommen war das alles Einerlei. Ich hatte einen Schuh in der Hand, streichelte über die Nähte, überprüfte mit kritischem Blick die Fersenform und alle Welt glaubte mir fortan Alles. Der Mann hat Ahnung, der weiß, wovon er spricht!Soviel zur Theorie.

 

Da hatte ich also an vier Unis nahezu alle Geistes und Geisterwissenschaften durchstudiert und natürlich in keinem der Fächer einen ordentlichen deutschen Abschluss gemacht, suchte und suchte meinen Platz in unserer, mit mir immer ungeduldiger werdenden Gesellschaft und hier in diesem „modernen“ Bequemschuhladen dauerte es nur wenige Sekunden und Allesamt waren begeistert: Endlich mal ein Fachmann!Ich war also zuhause angekommen.

 

Meine damalige Chefin war auch klug genug, um das schnell zu erkennen und übergab mir somit nach wenigen Tagen die beliebte Abteilung: Reklamation. Hier konnte ich mich in der Gesamtheit meiner Fähigkeiten so richtig austoben: Sozialkompetenz mit einem netten Schwiegersohnlächeln, gepaart mit männlicher Schuhtechnikerkompetenz. 25 Jahre später weiß ich genau, warum mir die liebe Chefin dieses Feld allzu gerne übergeben hatte. Man verliert hierbei schlicht jeglichen Glauben an Gott und Menschheit.

 

Banker, die nach sechs Monaten ihre schwarzen business Schuhe von Clarks auf den Tresen knallten und ihr Geld zurückhaben wollten, am liebsten mit Zinseszinsen, weil sich ja die Laufsohle am äußeren Rande bei beiden Absätzen abgelaufen hatte. Also somit ein eindeutiger Beweis für einen Materialfehler.

 

Geschäftstüchtige, findigflinke Großmütter, die zu Beginn jeder Saison mit zwei Plastiktüten voll alter, abgeranzter Schuhe ankamen und dafür neue, natürlich passende Schuhe für ihre Enkel verlangten.

 

Sehr beliebt waren auch 160.- Sandaletten, die man im zweiten Sommer nicht mehr tragen konnte, weil mit einem Male die Füße so extrem rochen, oder in der Farbe nachgelassen haben, oder Blasen verursachten, oder oder. Im Meckerland auf der grünen Wiese meckert allzu gern die deutsche Ziege.

 

Und dann gab es natürlich auch das wahrhaftige Ungemach bei unseren Schuhen. Schließlich führten wir die ersten wirklichen ökologisch sinnvoll Gebauten. Und wie bei allen neuen Produktionsfertigungen gab es auch bei unseren Schuhen ab und an kleinere Schönheitsfehler. Berühmt war vor allem die Kombination: Naturlatexsohlen, wasserlösliche Kleber und vegetabil gegerbtes Leder.

 

In gut 10% der Fälle sagte die Laufsohle gerne „Tschüss“ und das nach wenigen Metern. Das war natürlich etwas ärgerlich bei 139,95 DM. Wie ihr seht, solcherlei geschah schon ein klein wenig in der vergangenen Vergangenheit. Das Problem gibt’s übrigens immer noch, wenn die Leder nicht vernünftig angeschärft sind. Vor allem bei unseren Ökos. Das erkläre ich dann vielleicht mal in einem möglichen Kinderschuhblog.

 

Also kam ich als gescheiterter Student in eine mittelgroße Stadt mitten in Deutschland um wenigstens irgendeinen Abschluss zu machen und landete im Schuhgeschäft. Und nach wenigen Stunden an der hiesigen Uni war auch klar, mit einem Seitenblick auf mein immer rotblinkendes Bankkonto, dass ich mich als Schuhverkäufer anstellen lassen musste.

 

Ich ertrug es einfach nicht länger in einem Seminarraum zu sitzen und das belämmerte Schweigen meiner inzwischen doch recht jungen Kommilitoninnen und die flehentlichen Blicke der Lehrenden in meine Richtung. Die Kinder hier waren es inzwischen gewöhnt alles wie in der Schulzeit vorgekaut zu bekommen und auswendig zu lernen. Als ich 1987 mit Germanistik, Politik und Publizistik an der FU Berlin begann läuteten schon die politischen Glöckchen, um den sogenannten Geisteswissenschaften den Garaus zu machen. Im meinem zweiten Semester besetzten wir monatelang die Uni, demonstrierten gegen Studiengebühren und die permanente Einmischung der Wirtschaft in den Unihaushalt, die den Naturwissenschaften der FHs gemäß, eine Verschulung eines möglichen Lehrstoffs bedeuteten. Dazu gab es noch Hausbesetzungen, Anti IWF-Kongresse und meine Arbeit beim Paketdienst in Moabit. Wer hatte da noch die Zeit irgendwelche Abschlüsse zu machen...Sei's drum. Erzähl ich ein andersmal. Ha, und poetry slam haben wir doch erst erfunden! Und der wirklich Langweiligste aus den damaligen chaotischen Kreisen ist heute der einzig bekannte Schreiberling. Was für eine Ironie. Andererseits zu recht. Handwerk und Disziplin , auch beim Schreiben.

 

Selbstredend war das für mich zu profan. Schreiben als Handwerk:Pah! Ich für meine Person driftete damals lieber komplett ins lyrische Unbewußte ab. Natürlich unbeschreiblich spannend, jedoch für jeden Außenstehenden schlicht unlesbar! Jungsche Traumbilder, Trakls Unterton, gepaart mit der Melancholie eines Ciorans beeinflussten meine lyrische Ader dermaßen, dass ich mit dem Erguss meines Genies jedes Badezimmer in jeder x-beliebigen WG freibekam. Und das nur bei der bloßen Androhung eines meiner Gedichte vorzutragen.

 

Gsscchh, weg mit den Erinnerungen, wie gesagt, ein andermal. Ich war bei den Unis – ich liebte die Dynamik von autonomen Seminaren, wollte einfach lernen und wissen – hä? Du verstehn? Wissen! Diskutierte zu gerne mit klugen Köpfen mit meinem Halbgaren und meiner wie ich es damals nannte „Spontanintelligenz“, bei allerlei reichhaltiger Getränkeauswahl. Mit einem Worte, ich war ein bebrillter Taugenichts, ein Sprücheklopfer, also ein Intellektueller, der sich übers Postpostmoderne monierte und sollte nun in dieser Mittelprovinz mit diesen kindischen Kleingeistern über das Sozialrecht im römischen Reich diskutieren. Und die Kinder hatten noch nicht mal ihren Text gelesen, weil man ihnen das nicht explizit aufgegeben hatte.

 

Icgh war zu alt geworden. Es ging einfach nicht mehr. Auf der einen Seite war somit mein akademischer Frustlevel schlicht überschritten, auf der anderen bekam ich hier im Kaufladenspielen Spontanbeifall und genug Geld zum Überleben.

 

Haja, und so verwandelte ich mich eben in eine Art Al Bundy für Akademiker.

 

Das graue Wolkenmeer teilte sich und ein warmer Sonnenstrahl küsste sanft die Erde: Ein Schmetterling ward geboren.

 

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